02.02.2015, 9780 Zeichen
Sehr Lesenswertes von Thomas Wulf, Generalsekretär der Dachorganisation EUSIPA in Brüssel, der beim Zertifikate Forum Austria - Jahresauftakt in Wien vor Ort war.
"Strukturierte Produkte in Europa - ein Artikel aus dem November 2014
Strukturierte Finanzprodukte sind, allem Gerede zum Trotz, mittlerweile ein etablierter Bestandteil der meisten Depots von Privatanlegern, die in ihrem Portfolio nicht nur strikt auf Risikominimierung setzen. Die Vorteile gerade der Produktform einer börsennotierten Schuldverschreibung sind im Markt gut bekannt. Neue Produktideen lassen sich einfach und kostengünstig aufsetzen, die Liquidität gleicht der eines Aktieninvestments und mit ein wenig Gespür für den Trend der Märkte lasse sich kurzfristig sogar oft bessere Renditen erzielen.
Der Absatz strukturierter Finanzprodukte wurde aber auch immer von Faktoren beeinflusst, die vielleicht weniger offenkundig sind und sich nicht immer von einer besseren Produktidee oder Marketingstrategie beeinflussen lassen. So war die Anlegerneugier zwar zu Beginn der Erfolgsgeschichte von Zertifikaten in der Schweiz, Österreich und Deutschland Anfang der 90-iger Jahre noch eine ganz wesentliche Triebfeder. Erheblich die Verkaufsbemühungen forciert hat aber auch der Druck des Treasury-Managements vieler Emittenten, das sich mit verbrieften Schuldverschreibungen eine, im Vergleich zu Fonds, einfach aufzulegende, leicht handelbare und im damaligen Hochzinsumfeld höchst willkommene Liquiditätsquelle erschlossen hatte. In der heutigen Zeit der Negativzinsen ist ein solcher Marktfaktor schon wieder in Vergessenheit geraten. Er zeigt aber sehr eindringlich, wie stark Umstände, die eigentlich außerhalb der Produktqualität liegen, den Absatz beeinflussen. Für strukturierte Produkte ist dies ein Dauerthema, wie zum Beispiel ein Blick auf das steuerliche Umfeld für Privatinvestitionen in der EU nahelegt.
So sind in einigen Ländern der Europäischen Union Anlageprodukte, die zur Inhaberschaft von Aktien, direkt oder indirekt, führen, steuerlich begünstigt. Am deutlichsten ist hier die französische Regelung in Form des Plan d’Epargne en Actions (kurz PEA/Aktiensparplan), wonach dem Privatanleger ein saftiger Erlass von der normalerweise auf den Wertzuwachs des Depots zu entrichtenden Kapitalertragssteuer gewährt wird. In Spanien wiederum kennt man bei Investitionen in Schuldverschreibungen, die über emittentenunabhängige Broker/Dealer abgewickelt werden, eine Pflicht, 21% des Investitionsbetrages als bedingte Steuervorauszahlung auf künftig erzielte Gewinne einzubehalten. In der Konsequenz investieren Anleger natürlich weder in Frankreich noch in Spanien in Zertifikate, da beider Länder Steuerregime fondsgebundene Produkte einseitig begünstigen. Schweden wiederum hat jüngst Gewinne aus versicherungsbasierten Finanzprodukte erheblich begünstigt, was diese Anlageform, es nimmt kaum Wunder, über alle Maßen auf der Beliebtheitsskala der Investoren nach oben katapultiert hat. Wegen der Vielzahl nationaler Steuerthemen, die ja immer Ausgangspunkt dieser Sonderregelungen sind, ist ein „roter Faden“ aber leider hier nicht zu erkennen. Dies sollte beim Blick auf die Zwillingsschwester der Steuergesetzgebung, gemeint ist die für den Vertrieb mindestens ebenso bedeutsame Kapitalmarktregulierung, eigentlich anders sein.
Leider kollidieren aber derzeit auch hier die verschiedenen Vorstöße auf nationaler und europäischer Ebene heftigst miteinander. Um die Wurzel des Problems zu verstehen, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass nach Beginn der Finanzkrise 2008 die allermeisten nationalen Kapitalmarktbehörden der EU-Staaten ihrer makroökonomischen Aufsichtskompetenzen über den Bankensektor entkleidet und auf die Rolle sektorieller Verbraucherschutzbehörden reduziert wurden. Etwas verspätet, aber umso eifriger waren (und sind) viele dieser Behörden dementsprechend bemüht, ihren Mehrwert unter Beweis zu stellen. Oft tun sie dies, indem sie den Privatanlegermarkt mit eigenen Regelungskonzepten meinen beglücken zu müssen. So hat Belgien, mittlerweile berüchtigt für derlei Initiativen, unbeschadet der gerade verabschiedeten EU-PRIIPs-Verordnung kürzlich ein eigenes Regelungswerk (u.a. mit einer an Energielabel für Kühlschränke erinnernden Risikoklassifizierung) eingeführt und sich damit nicht nur bei der EU- Kommission äußerst unbeliebt gemacht. Nicht viel besser sind Italien und Spanien, in denen in den vergangenen Monaten öffentliche Anhörungen liefen, die sich jeweils mit umfassenden nationalen Vertriebsverboten (Italien) oder wieder eigenen Risikoklassifizierungen (Spanien) befassten. Wieder sieht man keinen roter Faden, sondern nur dicke und dünne rote Linien.
Ganz allgemein sind viele dieser oft im Schnellschuss auf nationaler Ebene abgefassten Gesetzesentwürfe oft unzureichend durchdacht, gehen an EU-Recht vorbei oder stehen ihm sogar entgegen. Sie führen in extremis dazu, dass ausländische Finanzinstitute um bestimmte Länder einen großen Bogen machen. (Belgien ist hier nur das prominenteste Beispiel.) Wie angedeutet, ist diesen Regelungen oft gemein, dass sie den Vertrieb bestimmter Produkte im nationalen Markt mit einer Unzahl oft willkürlicher Auflagen versehen oder ihn gleich ganz verbieten. Letzteres ist in meinen Augen das eigentliche Problem, da die Verweigerung des Marktzugangs für Wertpapiere, die in anderen Länder zulässig sind, de facto das Passporting-Prinzip der EU-Prospektrichtlinie aushebelt (wonach ein in einem EU-Land zum öffentlichen Handel zugelassenes Wertpapier auch in einem anderen ohne Probleme gehandelt werden können muss). Um EU-Recht schert man sich aber immer dann sehr wenig, wenn es darum geht, Beifall im nationalen Parlament seiner angeblichen Verdienste um den nationalen Verbraucherschutz wegen einzuheimsen. Selbst Deutschland, sonst eher mahnende Stimme im kleinstaatlichen Gezeter der EU, hat erst in letzter Minute sein neues Kapitalanlageschutzgesetz an die MIFIR-Verordnung angepasst, nachdem der Prokon-Zahlungsausfall die Ministerien zum Gesetzeserlass in (öffentlichkeitswirksamer) Rekordzeit veranlasste.
Nun haben die 28 Staaten der EU nun im Mai diesen Jahres gewählt und der Brüsseler Tanker nimmt langsam wieder Fahrt auf. Jean-Claude Juncker hat seine Kandidaten für die neue Kommission mit minimalen Verlusten durchgebracht, im Parlament tagen die ersten Ausschüsse und Italien drängt als Vorsitzinhaber im EU-Rat darauf, dass sich die Mitgliedstaaten möglichst bald zu allen anhängigen Dossiers positionieren.
Der Schwerpunkt allerdings wird in der neuen EU-Legislaturperiode 2014-2019 aber wohl nicht mehr auf dieser „ersten“ Ebene der Gesetzgebung liegen, auf der die Verordnungen und Richtlinien in die Welt kommen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die zweite Ebene, also die Umsetzung der beschlossenen Rechtsakte, allen voran MIFID2, die Institutionen und Lobbyisten in Anspruch nimmt.
Für die Emittenten von Finanzprodukten gibt es hier neben etlichen technischen auch ein paar fundamentale Baustellen. Allen voran steht die Kompetenzabgrenzung zwischen den großen EU-Gesetzgebern, also Rat und Parlament, auf der einen und den Finanzaufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA (im Jargon auch „ESAs“ genannt, nicht zu verwechseln mit der ESA, der European Space Agency) auf der anderen. Diese „ESAs“ agieren, Gott sei Dank, zunehmend mehr im Zusammenspiel, ohne dabei das Rad ständig neu erfinden zu müssen. Die kürzliche Anhörung der EBA (European Banking Authority mit Sitz in London) zu Produktverboten bei Structured Deposits war in dem Zusammenhang hoffentlich nur ein Ausrutscher, der darauf zurückgeht, dass die ESMA nur für Wertpapiere zuständig ist, Structured Deposits aber ja solche nicht sind. Alle drei Institutionen stehen unter einem größer werdenden Druck, essentielle Fragen der Rechtssetzung nicht einfach an sich zu ziehen (indem sie ihr jeweiliges Mandat weit auslegen), sondern sich auf die technische Beratung der EU-Kommission zu beschränken. Vor allem dem EU-Parlament ist es seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, dass viele Regelungen „auf erster Ebene“, also in Verordnungen und Richtlinien, allgemein gehalten und dann von den ESAs mit Leben gefüllt werden. Häufig schiebt man der EU-Kommission die Schuld für diesen Zustand zu. Sie sei zu sehr darauf fixiert, ihre Vorschläge schnell durch die Gesetzgebungsmaschine bringen zu wollen, ignoriere aber, dass dann im nächsten Schritt meist ein höchst ungesundes Gerangel um die richtige Auslegung auf nationaler Ebene stattfindet. Im allerschlimmsten Fall würden einheitliche EU-Vorschriften in einzelnen EU-Staaten sogar gegenläufig interpretiert. Letzterem ist leider zuzustimmen. Aus Lobbyistensicht hilft hier nur konzertiertes Handeln der europäischen und nationalen Verbände – und dies so früh als irgend möglich. Das beginnende Gezerre um die richtige Risikoklassifizierung der von der EU PRIIPs-Verordnung erfassten Produkte illustriert gut, was der Branche bevorsteht. Auch hier hat man es lieber gesehen, die Dinge nicht in der Verordnung zu regeln (die EU-Wahlen standen an und Ärger gab es bei PRIIPs schon genug), so dass nun der schwarze Peter bei der ESMA liegt. Eine neue rote Linie steht ins Haus.
Hoffnungen setzen viele in Brüssel auf den neuen britische Finanzmarktkommissar Lord Jonathan Hill. Dessen bislang nur sehr vage angekündigtes Konzept einer EU- Kapitalmarktunion wäre sowohl in Hinblick auf die nationalen Alleingänge in einigen EU- Mitgliedstaaten als auch bei der Kompetenzregelung der EU-Institutionen ein durchaus spannendes Betätigungsfeld. Dies würde ihn zwar bei vielen nationalen Behörden und einigen Brüsseler bzw. Pariser ESMA-Kollegen sehr unbeliebt machen, könnte ihm aber auch unverhoffte europäische Lorbeeren bescheren. Drücken wir die Daumen, dass er sich an die Aufgaben wagt. "
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