09.09.2017, 6728 Zeichen
Kurz vor der Bundestagswahl beschäftigen sich die Menschen in diesem Land mit wichtigen Themen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie man besser im Alter abgesichert ist. Der Deutsche Derivate Verband (DDV) hat beim Deutschen Derivate Tag in Frankfurt mit Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg, über die Herausforderungen eines auch künftig stabilen Rentenmodells gesprochen. Dieses Interview wollen wir Ihnen auch hier auf dieboersenblogger.de nicht vorenthalten:
Schätzungen des Bundes zufolge erwartet Deutschland Rekord-Steuereinnahmen. Folglich ertönt der Ruf nach Steuersenkungen. Was halten Sie davon?
Die Steuerquote ist tatsächlich an einer historischen Obergrenze angekommen und insofern ist Spielraum für eine Entlastung da – allerdings ist dieser zu nutzen um Leistungsanreize für die starken Schultern zu setzen. Gerade die obere Mittelschicht trägt zum Steueraufkommen weit überproportional bei und hier sollten wir anfangen.
Sind wir Deutschen tatsächlich die Musterknaben in der Europäischen Union?
Nur auf den ersten Blick scheinen wir die Staatsverschuldung tatsächlich abzubauen – der zweite Blick trübt die Aussichten, denn in Normalzinszeiten hätten wir keine schwarze Null im Bundeshaushalt, sondern ein tiefrotes zweistelliges Milliardendefizit an dessen Stelle.
Wie ist es aktuell EU-weit um die nachhaltige Fiskalpolitik bestellt?
Die hat sich quasi verabschiedet – es gibt nur solche Länder, die ein erhebliches Volumen an versteckten Staatsschulden und andere, die noch mehr davon haben – eine gute Nachricht ist das wohl eher nicht.
Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihrer „Bilanz der ehrbaren Staaten“?
Die Erkenntnisse sind da einfach: Viele Länder in Europa haben eine Mammutaufgabe vor sich, wenn es um die Konsolidierung ihrer Sozial- und Fiskalpolitik geht – andere wie beispielsweise Griechenland haben größere und damit unüberwindliche Aufgaben vor sich.
Lassen Sie uns auf Deutschland konzentrieren. Viel wird über unsere gesetzliche Rente philosophiert und debattiert. Wie stehen Sie zum deutschen Rentensystem?
Früher – also vor den Agenda-Reformen der Schröder Administration und der ersten großen Koalition unter Frau Merkel – war ich eher kritisch distanziert unterwegs. Nach Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors, der Rente mit 67 und der nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkommen hat sich das deutlich gebessert. Unsere Rente ist dadurch generationengerecht geworden und zugleich leistungsgerecht geblieben. Große Rückschritte haben allerdings die jüngsten Reformen von Arbeitsministerin Nahles gebracht – das war schlicht Interessenpolitik zu Gunsten der gut situierten Alten.
Bedarf es keiner substantiellen Änderungen am bestehenden Rentenmodell?
Nein, es ist alles gut und wenn etwas zu tun wäre, dann müsste man die Wahlkampfgeschenke von Frau Nahles zurückzunehmen. Geht aber nicht, denn – wie heißt es doch aus dem Kindermund – geschenkt ist geschenkt und wiederholen ist gestohlen!
Halten Sie die Angst vor Altersarmut in Deutschland für gerechtfertigt oder übertrieben?
Das kann jedermann im Statistischen Jahrbuch nachlesen: Es gibt keine Altersgruppe, die weniger von Armut bedroht ist als die alten Menschen in Deutschland. Sie ist weit unterdurchschnittlich betroffen und wird es trotz Erhöhung in Zukunft auch bleiben. Die gesetzliche Rente wird den Kampf gegen die Altersarmut auch in Zukunft meistern, allerdings haben die meisten Menschen ein Problem der Lebensstandardsicherung – jedenfalls die, die nichts tun oder alles falsch machen.
Der IWF plädiert für eine Rentenreform, die darauf abzielt, dass die Deutschen länger arbeiten. Dadurch soll das Einkommen im Alter steigen und im Umkehrschluss müssten die Menschen weniger für den kürzeren Ruhestand sparen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Ich sag es mal kristallklar: Wer immer länger lebt und nicht ausreichend zukünftige Beitragszahler in die Welt setzt, kann doch nicht im Ernst erwarten, dass er jeden Tag, den er länger lebt, eben als Rentner verbringt. Deshalb brauchen wir weitere Erhöhungen des Rentenzugangsalters und zwar solange, bis wir nicht mehr noch älter werden – und das wird noch lange dauern! Im Übrigen gibt es keine bessere Strategie gegen Altersarmut.
Gibt es eine Blaupause für Rentenmodelle? Was ließe sich in Sachen zukunftsfähige Sozialsysteme bei anderen Ländern abschauen?
Da sollten nicht wir uns bei den anderen umschauen, sondern die anderen bei uns. Unsere Reformen haben – bis Frau Nahles kam – alles zum Guten gewendet. Wenn überhaupt noch was verbleibt, dann könnten wir die automatische Anpassung des Rentenzugangs an die Lebenserwartung nach schwedisch/norwegischem Beispiel vornehmen.
Neben der gesetzlichen Rente rückt die private Altersvorsorge als zusätzliches Standbein immer stärker in den Fokus. Reichen die Vorsorgeanstrengungen der Bundesbürger aus?
Gut die Hälfte der Bundesbürger verfügt über Immobilieneigentum, knapp die Hälfte über privat ersetzende Altersvorsorgeverträge und zumindest in Großbetrieben haben viele Beschäftigte einigermaßen hohe bAV-Ansprüche. Bauchschmerzen haben wir bei denen, die nur auf die gesetzliche Alterssicherung bauen – da wird es erheblich Lücken geben.
Weiß die Bevölkerung in ihrer Mehrheit zu wenig über Rente und Altersvorsorge?
Ganz klar, die Deutschen wissen zu wenig und wir müssen schon in den Schulen anfangen ökonomisch zu bilden. Was nützt mir ein detailliertes Gemeinschaftskundewissen, wenn ich nicht begreife, wie die Einkommensteuer funktioniert oder eine Pensionskasse?
Was halten Sie von einer „Deutschland-Rente“?
Nichts. Einem Politiker Geld zu geben und ihn dann darauf aufpassen zu lassen, das ist, als ob sie ihrem Hund zwei Knochen hinwerfen und ihm sagen: Einer ist für morgen. Das geht immer schief und ist im Übrigen immer schon schief gegangen!
Wie bewerten Sie das jüngst verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz?
Kurz und knapp: Großer Wurf angekündigt – Kleinstausgabe kam an. Eigentlich sind die einzelnen Facetten gut aber ob die Arbeitgeber dem dann trauen – ???
Angesichts der Niedrigzinsen führt kaum ein Weg an kapitalmarktnahen Finanzprodukten vorbei. Dennoch sind die Bundesbürger risikoavers. Wie ließe sich das ändern?
Bildung, Bildung, Bildung. Denn wer heute keine Aktien hat war früher doof. Nur muss nicht der, der heute Aktien kauft clever sein…
Welche Rolle spielt die Diversifikation im privaten Portfolio?
Alles – nur wer seine Eier in verschiedene Körbe legt, steht auf sicherem Fundament. Und neben der Diversifikation muss alles im Laufen passieren – ratierlich heißt hier das Zauberwort, also langsam aufbauen und langsam verzehren.
Wie sorgen Sie für das Alter vor?
Genauso.
Wiener Börse Party #636: Marcel Hirscher läutet wieder die Opening Bell und ich denke dabei an Palfinger und Raiffeisen
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