09.01.2019, 4521 Zeichen
Count your Blessings, 2018 ist vorbei. Das vergangene Jahr war eine Zäsur. Ein gravierender Einschnitt in die Art und Weise wie wir die Kapitalmärkte betrachten und erkennen. Die Verunsicherung als täglicher Begleiter eines Investmentprozesses sind wir ja gewohnt zu adressieren. Die Kursbewegungen in 2018 aber haben selbst dieses Bewusstsein noch um eine Stufe erhöht. Wir können daraus lernen. Lernen, dass es immer wieder Überraschungen gibt, oder lernen, dass es keine lineare Sicherheit geben kann, oder man macht es sich einfach, interpretiert, dass es egal ist was man tut, der Markt gewinnt eh immer. Quasi, Köpferl in den Sand. Oder man räumt, so wie den Schnee vor der Haustüre, die ganzen Nebelschwaden vor den Investments weg und versucht den Blick auf die „Wahrheit“, das „nackte“ Investment zu erlangen.
93% aller global vorhandenen Assetklassen sind in 2018 negativ gewesen. Das gab’s vorher noch nie. Die Einzigen, die ins Plus rutschten, waren Gold und Volatilität. Eigentlich irre. Selbst Lehman konnte ein solches Bild nicht zaubern. Und außer ein paar politischen Dummheiten haben wir kein fundamental negatives Bild am Globus. Die Wirtschaften wachsen weiter. Die Steuern werden weiter bezahlt. Die Kunden kaufen nach wie vor in rauen Mengen. Finanzminister nach wie vor der Job des Jahrhunderts. Der Reflex, den Kursdruck mit rationalen und volkswirtschaftlich oder fundamental begründeten Argumentarien zu begleiten schlägt fehl. Selbst Themen wie „Handelskrieg“ oder „Brexit“ können nur einen Teil des Geschehens erklären. Sie können nicht die Quelle des Ganzen bestimmen.
Nun, es gibt zwei Varianten, die man als Versuch einer Erklärung oder Aufarbeitung verwenden kann, wenn es kein offensichtliches fundamentales Muster gibt: Man nimmt es hin und denkt sich nichts dabei. Quasi, in ein paar Jahren interessiert eh Keinen mehr was heute war. Oder man abstrahiert. Die Abstraktion stellt die Geschehnisse einmal emotionslos dar. Und das beleuchtet auch den Faktor „Technik“ als Parameter. Also, wenn fundamental etc. nicht als Begründung funktioniert, muss es etwas anderes sein. Das kann die pure Emotion sein, also wenn jeder aus Aktien flüchtet weil Risiko nur mehr furchtbar ist, Jeder auf Jeden angefressen ist, Charts nur mehr fallend interpretiert werden, die Medien das Fahrrad in China zur globalen Bedrohung hochjammern, oder weil irgendein Grund entstanden ist, der gar nichts mit „normalen“ Kriterien zu tun hat, der sagt „raus aus Allem“. Solch ein Grund kann ein Regulator sein, der zur Risikoreduktion zwingt, eine Bilanz, die sonst nicht zu retten ist, eine riesen Wette, die schief gelaufen ist, Großbanken die im angeordneten Chorgeist gleichzeitig ihren Lombardkunden die Limits streichen, oder ein Computerprogramm, das zufällig die gleiche Richtung fährt wie 100 andere Programme und sich dabei beschleunigt - Beispiele ohne Ende. Passiert sicher öfter als man denkt, wird aber selten zur Dominante globaler Kapitalmärkte, weil da braucht es schon dicke, dicke Taschen um solche Märkte gleichzeitig zu beeinflussen. Und gerade deswegen, weil es ein solch enorm großes Ereignis gewesen sein müsste, werden wir, sollte es wirklich ein technischer Default gewesen sein der uns die Nächte in 2018 verkürzt hat, dies erst viel später erkennen (dürfen). Dann wenn alles vorbei ist, nichts mehr wehtun kann, und einige Beteiligte bereits wieder voll investiert sind. Wie ein Horrorfilm in dem der Höhepunkt erst am Kinoausgang verraten wird.
Interessant dabei aber, dass man auch dabei noch etwas lernen kann, nämlich wie schnell eine solch intensiv emotionale Phase auch wieder vorbei sein kann. Wie die Gegenbewegung am Markt innerhalb kürzester Zeit den Charakter der Chance annimmt und wie man sich, ganz sicher sehr gerne, schnell an fundamentale und unternehmensspezifische Kriterien erinnert.
Und eines ist gewiss, so wie man nach einer Katastrophe oder einem Unfall oder auch einem Horrorfilm den Blick auf die Realität in Verbindung mit dem Gedanken an das Potential der Gegenwart verbindet, allein um daraus Kraft zu schöpfen, so sehr lebt die Hoffnung an den Kapitalmärkten wieder auf, wenn der Sturm von was auch immer, an ihnen vorüber gezogen ist. Man wird danach sicher vorsichtiger, die Wände werden dicker, die Speisekammern aufgefüllt, die Erwartungen von zu hoher Euphorie befreit, die Portfolien sachlicher und näher an die Gegenwart ausgerichtet. Aber man steht wieder auf.
(Der Input von Wolfgang Matejka für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 09.01.)
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