30.11.2021,
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Wien (OTS) - Österreichs stationärer Einzelhandel hat Corona-bedingt
heuer eine wahre Achterbahnfahrt hinter sich. Nach einem verhaltenen
Start und einer guten Entwicklung in den darauffolgenden Monaten
müssen die Unternehmen jetzt mit dem nunmehr vierten Lockdown
neuerlich einschneidende Verluste hinnehmen. Bis zu 140 Mio. Euro pro
Tag sind es österreichweit nach Berechnungen der Linzer Johannes
Kepler Universität, auch wegen des Großteils fehlenden Geschäftes vor
Weihnachten und am 8. Dezember. Für viele Unternehmer „ein Wechselbad
der Gefühle“, erläutert Anthony Crow, Msc, Teamleiter Retail bei OTTO
Immobilien.
Neben Frustration ortet er auch „eine gewisse Routine“, mit der
die Händler bestmöglich und proaktiv auf die aktuellen
Einschränkungen reagieren können. Vor dem aktuellen Lockdown war
Optimismus aufgekommen, die Situation hatte sich wieder verbessert,
heißt es im seit heute vorliegenden neuen Retail-Marktbericht von
OTTO Immobilien. „Auch wenn viele Unternehmen vor dem Hintergrund der
neuen Entwicklungen ihr Filialnetz stabilisieren, strukturieren oder
neu positionieren – die Nachfrage nach Geschäftsflächen ist wieder
gestiegen, die Vermietungsleistung hat in den letzten 6 bis 8 Monaten
wieder deutlich zugelegt. Trotz der aktuellen und erneut
einschneidenden Gegebenheiten gehen wir davon aus, dass sich die
Nachfrage nach Geschäftslokalen im neuen Jahr intensivieren und
dynamisch entwickeln wird,“ so Crow.
In Wien etwa lassen Neuvermietungen wie Liebeskind, Polestar,
Mooncity Vienna, Nespresso, Marc O‘Polo, Huawei oder Balenciaga, die
heuer neue Geschäftsflächen in den Top-Lagen des Goldenen H (zwischen
Hofburg, Kohlmarkt, Graben, Rotenturmstraße und Kärntner Straße)
angemietet haben, eine gewisse Aufbruchsstimmung erkennen.
„Grundsätzlich war noch nie so viel Bewegung in unseren Einkaufszonen
zu beobachten wie zuletzt“, sagt Crow. Dabei setze sich die
Konzentration auf die Top-Lagen kontinuierlich fort, während in B-
und C-Lagen vermehrt Geschäftsschließungen und entsprechende
Leerstände zu erkennen seien, für die bislang nur selten namhafte
Mieter gefunden werden. „Die Standortpolitik von Einzelhändlern wird
umfassender und tiefgreifender analysiert. Retail-Erlebniswelten,
entsprechende Brand Awereness in Top-Lagen, die eine hohe
Attraktivität und neuen Anreiz für Konsumenten ausüben, stehen mehr
denn je im Trend und führen dazu, dass auch morgen am Markt verstärkt
mit neuen, bzw. neu durchdachten Konzepten zu rechnen ist. Zudem
werden Relocations verstärkt forciert, um eine Portfoliooptimierung
zu erzielen,“ berichtet Patrick Homm, MA, Abteilungsleiter
Immobilienvermarktung Gewerbe bei OTTO Immobilien.
„Wir sind davon überzeugt, dass sich der Markt - auch nach den
Rückschlägen dieses aktuellen Lockdowns - kontinuierlich erholen wird
und sich unsere Einkaufsstraßen durch neue, attraktive Konzepte am
Markt morgen noch bunter und individueller präsentieren können“, so
die Retail-Experten. Im Zuge der Vermarktungen sei weiters ein Trend
zur Verkleinerung von Shop-Flächen und zu immer individuelleren, an
den Standort angepasste Lösungen zu beobachten. Bei Geschäftsflächen
mit mehreren Stockwerken werden Mietflächen in den oberen Geschoßen
vermehrt umgenutzt und anderweitig bespielt – alternative Nutzungen
sind Büros, medizinische Versorgung, Serviced Apartments oder Self
Storages.
Allerdings sind nicht alle Branchen des Handels und Standortzonen
von den Auswirkungen der Corona-Pandemie in gleicher Art und Weise
beeinträchtigt, heißt es im Marktbericht weiter. So konnten neben dem
Onlinehandel etwa der versorgungsrelevante Lebensmitteleinzelhandel
mit einem Umsatzplus von rund 10% positive Zahlen schreiben. Genauso
wie Baumärkte, die Bereiche Sport & Outdoor, Discounter und weitere
Konzepte mit Fokus auf Produkte des täglichen Bedarfs.
Zwtl.: Konstante Mieten in A-Lagen
In A-Lagen sind die Nominalmieten nach Erhebungen von OTTO
Immobilien weitestgehend konstant geblieben. In Nebenlagen stehen sie
allerdings unter Druck, vor allem in Hinblick auf Geschäftsflächen
mit vertikaler Geschossstruktur. Ebenfalls bemerkenswert sei, dass
Mietvertragslaufzeiten deutlich kürzer ausfallen und kaum ein
Mietvertrag gegenwärtig ohne einer Corona-Klausel abgeschlossen wird.
„Dazu kommen verstärkt Incentives wie mietfreie Zeiten, Umsatzmieten
oder Baukostenzuschüsse zum Tragen, die in ein rechtliches
Gesamtpaket gegossen werden und mittlerweile am Markt Usus sind“,
berichtet Crow. In Hinblick auf die Vertragsgestaltung sei allerdings
zu beobachten, dass Mietinteressenten und Vermieter inzwischen näher
zusammenrücken und verstärkt vereinigt agieren, um einen für beide
Seiten passenden Abschluss zu forcieren, mit dem Ziel eine solide
Basis für eine Neuanmietung oder auch eine Vertragsverlängerung
partnerschaftlich zu erarbeiten.
Zwtl.: Künftige Trends: Distanz- und Einzelhandel verschmelzen –
Wertewandel bei Konsumenten
Es ist davon auszugehen, dass Distanz- und stationärer
Einzelhandel immer mehr miteinander verschmelzen – eine
durchdachte Kombination beider Vertriebslinien wird zukünftig nicht
mehr wegzudenken sein, heißt es im Marktbericht weiter. Dies
zeigt sich auch an Anforderungen bzw. am Kaufverhalten der
Konsumenten, die während der Corona-Pandemie intensiv
umgesetzten Services wie bspw. Last Mile Delivery oder Click &
Collect vermehrt nachfragen. Darüber hinaus gehen Trendexperten
davon aus, dass durch die Krise ein Wertewandel der Konsumenten
eingesetzt hat, der zukünftig zu veränderten Bedürfnissen und
einem angepassten Kaufverhalten führen wird und sich der Handel daran
anzupassen hat.
* Gravierendere Veränderungen sind in den am stärksten von den
Lockdowns betroffenen Branchen wie Fashion, Schuh & Leder,
Schmuck und Parfümerie abzusehen. „Es ist davon auszugehen, dass
zukünftig in diesen Bereichen eine Neudurchmischung erlebbar
sein wird, sprich ein Mix aus neuen Konzepten, angepassten
Flächenkonzeptionen, Filialnetzoptimierungen, aber auch
Ladenschließungen“, erläutert Patrick Homm.
Zwtl.: Erkenntnisse aus der Pandemie: Klauseln, Staffelmieten,
umsatzabhängige Mieten
Produktinszenierungen zur Untermalung des haptischen Erlebnisses werden zunehmen, um neue Anreize zum Einkaufen zu schaffen. Der Markt von morgen wird somit von Nutzungen abseits der klassischen Vertriebslinien im stationären Einzelhandel geprägt sein. Nämlich durch Alternativnutzungen, Direktvertrieb von Produzenten und Herstellern, E-Mobilität-Konzepten, etc. die Geschäftslokale anmieten und Einkaufsstraßen bereichern können. Online Pure-Player dürften nun zukünftig außerdem häufiger stationäre Dependancen bespielen. Diese Entwicklung spricht für eine
Stärkung von Flagship-Stores bzw. Monobrand-Stores und entsprechend für Standortentscheidungen, welche weniger von Mietkosten als vielmehr von der Qualität oder dem Marketingeffekt eines Standortes getroffen werden.\nNeben Pandemieklauseln wollen sich Unternehmen weniger
langfristig binden, was dazu führt, dass Mietvertragslaufzeiten kürzer gehalten werden oder Ausstiegsszenarien definiert werden. Zudem fordern Retailer eine Anpassung der Mietniveaus durch die Erkenntnisse der Corona-Pandemie, die u.a. mit Staffelmietkomponenten, mietfreien Zeiten, sowie umsatzabhängigen Mieten einhergehen.\nZwtl.: Ein kurzer Blick in die Einkaufsstraßen
Kärntner Straße
Die Nachfrage nach Geschäftsflächen auf der Kärntner Straße - der
am meisten frequentierten konsumträchtigsten und vielfältigsten Zone
im Goldenen H - ist seit Ende des ersten Quartals 2021 deutlich höher
als in den Monaten zuvor. Gemeinsam mit Graben und Kohlmarkt ist sie
bei neuen Marktteilnehmern weiterhin sehr gefragt und besticht durch
einen ausgeprägten Branchen- und Mietermix. Darüber hinaus erfährt
der Standort aktuell nach und nach eine zusätzliche Belebung durch
innovative Alternativkonzepte abseits des klassischen Textilhandels
bzw. eine Diversifizierung des Handelsbesatzes durch Neuansiedelungen
von innovativen und dynamischen Mietinteressenten wie beispielsweise
Huawei, Mooncity Vienna oder IQOS. Die Einkaufsmeile bietet daher
beste Voraussetzungen für den stationären Einzelhandel, obgleich sich
die überdurchschnittlich hohe Passentenfrequenz mittlerweile wieder
dem Normalniveau annähert. Dies zeigt sich auch in den stabilen
Mietpreisen, die durch die Coronakrise bis dato keinen Einbruch
erlitten haben, sowie den derzeit kaum verfügbaren Geschäftsflächen.
Graben
Der Mieterbesatz sowie die Nominalmieten für Einzelhandelsflächen
entlang des Wiener Grabens sind auch in diesem Geschäftsjahr
weitgehend gleichgeblieben. Positiv hervorzuheben ist das große
Angebot an Cafés und Restaurants am Graben – die einzigartige
Mischung aus Gastronomie- und Shoppingerlebnis stellt einen USP für
die Kundschaft der Wiener Innenstadt dar. Mit Neuanmietungen durch
Liebeskind, Alpha Tauri oder Glashütte Original gab es signifikante
Bewegungen im Mieterbesatz.
Kohlmarkt
Zwar sind die Frequenzen entlang Österreichs luxuriöser
Einkaufsmeile seit Beginn der Coronakrise stark eingebrochen, es ist
jedoch eine kontinuierliche Verbesserung beobachtbar. Es ist davon
auszugehen, dass sich die Frequenzzahlen ab Mitte 2022 wieder auf
Normalniveau bewegen und damit erneut mit jenen in renommierten
Großstädten Europas konkurrieren werden können.
Die derzeit am meisten nachgefragte Lage ist die vom Graben bzw.
Goldenen Quartier einsehbare Sektion. Hier werden die höchsten
Passantenfrequenzen gemessen und durch die Umgestaltung des
Luxus-Lebensmittelhändlers
Julius Meinl am Graben sehen viele
Luxushändler Synergien und Anreize einer Anmietung in direkter
Nachbarschaft.
Mariahilfer Straße
Da die Mariahilfer Straße nicht zwingend abhängig vom Tourismus
ist und sich Großteils einer lokalen bzw. nationalen Kundschaft
bedient, hat die Wiedereröffnung des Retailsektors entlang der
Einkaufsmeile seit dem Frühjahr gut funktioniert. Die
Passantenfrequenzen haben sich seither deutlich erholt und auch die
Leerstandssituation hat sich durch den allgemeinen Aufschwung im
stationären Einzelhandel und den damit einhergehenden
Mietvertragsabschlüssen kontinuierlich verbessert. Nichtsdestotrotz
verfügt die Kernzone der Mariahilfer Straße weiterhin derzeit über
rund 8 - 10% an verfügbaren Retaileinheiten – diese Optionen
betreffen vor allem Flächen mit vertikaler Geschoßstruktur und
Mietpreisen meist deutlich über Marktniveau. Aufgrund dieser teils
ambitionierten Mietniveaus sowie der manchmal beeinträchtigenden
Entwicklungen aufgrund des Ausbaus des Verkehrsknotenpunktes im
Bereich der Neubaugasse, sind insbesondere Großflächen deutlich
länger in der Vermarktung bis ein passender Nutzer gefunden werden
kann.
Landstraßer Hauptstraße
Die Landstraßer Hauptstraße ist nach der Mariahilfer Straße und
der Innenstadt die drittgrößte Einkaufsstraße Wiens und stellt
österreichweit gesehen das siebtgrößte Einzelhandelsensemble dar.
Aufgrund der hohen Kaufkraft und Affinität zur Nachhaltigkeit der
Bewohner im Einzugsgebiet zieht die Straße vorwiegend regionale
Besucher aus einem weitreichenden Einzugsbereich an, die als
maßgebliche Potenzialspender, vor allem für die vielen traditionellen
Einzelhändler, gelten. In den vergangenen Monaten gab es kaum
signifikante Änderungen im Mieterbesatz, die Nachfrage nach
Geschäftslokalen ist allerdings weiterhin sehr hoch.
Favoritenstraße
Die Einkaufsstraße in ihrer Kernzone gilt zwar als die viertgrößte
Einkaufsstraße Wiens und erfreut sich an einem bunten Branchen- und
Mietermix, die hohe Leerstandsrate von ca. 18 % hat sich jedoch bis
zuletzt nicht verbessert. Der Wandel im Handel, der seit Jahren im
stationären Bereich und besonders im Textil- und Schuhhandel zu
beobachten ist und durch die Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt
wurde, ist hier stark erkennbar. Unter anderem bedingt durch die
weiterhin verhältnismäßig hohen Mietvorstellungen der Vermieter sowie
der Konzentration bekannter Filialisten auf A-Lagen, kommt es nach
und nach vermehrt zu Geschäftsschließungen entlang der
Favoritenstraße. Kontinuierlich prägen Diskonter, Fast Food-Anbieter
und Pop-Up-Konzepte den Straßenzug. Die Voraussetzungen für eine
Verbesserung werden nur durch ein professionelles Standortmanagement
möglich sein.
Ausblick
In den nächsten Jahren werden, so die ExpertInnen von OTTO
Immobilien, gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation
weitere Akzente notwendig sein, um Einkaufsstraßen und
innerstädtische Lagen, die bisher vom Einzelhandel dominiert wurden,
stärker und attraktiver zu machen. Denn auch ohne weitere Insolvenzen
werden sich die Filialnetze der Retailer, insbesondere auf High
Streets und in Shopping-Centern, ausdünnen. Die Nachfrage nach
stationären Dependancen wird vor allem bei Filialisten in B- und
C-Lagen sinken, im Gegenzug allerdings werden die frequenzstarken
Lagen und gut etablierten Nahversorgungszonen weiterhin nachgefragt
bleiben.
Den gesamten Retail-Marktbericht mit detaillierten Analysen zu
allen Wiener Einkaufsstraßen, Shopping- und Fachmarktzentren in
Wien/Umgebung inkl. der aktuellen Mieten, Branchenmix und
Passantenfrequenz finden Sie unter [www.otto.at/Marktberichte]
(http://www.otto.at/Marktberichte)
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Immofinanz
Die Immofinanz ist ein börsenotierter gewerblicher Immobilienkonzern, der seine Aktivitäten auf die Segmente Einzelhandel und Büro in sieben Kernmärkten in Europa (Österreich, Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Polen) fokussiert. Zum Kerngeschäft zählen die Bewirtschaftung und die Entwicklung von Immobilien.
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