09.08.2017, 5472 Zeichen
Wie Kaugummi am Schuh hält sich der Glaube, dass die US-Wirtschaft unkaputtbar ist. Als Beweis dienen vermeintlich positive Arbeitsmarktdaten. Der Stellenzuwachs im Juli von 209 Tsd. wurde sogar gefeiert wie die Mondlandung. Die Wachstumsformel der USA lautet: Starker Arbeitsmarkt gleich starke Binnenkonjunktur. Aber hält diese Kraftmeierei einer nüchternen Überprüfung stand?
Seit der Immobilienkrise 2008/2009 haben sich Stellenausschreibungen und -aufbau tatsächlich deutlich stabilisiert. Doch hat das scheinbar freundliche Arbeitsmarktbild bei näherer Betrachtung durchaus hässliche Flecken. So lässt der Stellenzuwachs seit Anfang 2015 durchschnittlich nach.
Donna Summers Hit „She works hard for the money“ entspricht der Realität
Sicherlich ist der Dienstleistungssektor eine Jobmaschine. Typischerweise verbergen sich dahinter allerdings nicht Tätigkeiten z.B. im Marketing oder in Strategieabteilungen. Es handelt sich vor allem um Jobs in der Gastronomie. Natürlich, lieber ein Job bei McKFCBurgerSubway als gar keiner. Doch sind das eben nicht die Beschäftigungsverhältnisse, die mit hoher Kaufkraft wie in der US-Industrie gesegnet sind.
Und diese US-Industrie ist leider vom robusten Vorkrisenzustand weit entfernt. Ein wirtschaftlich ladegehemmter Trump kann im amerikanischen Rostgürtel offensichtlich nicht als Rostlöser glänzen.
Insgesamt wird bei der politischen Beurteilung des US-Arbeitsmarkts viel zu viel über Quantität und viel zu wenig über Qualität gesprochen. Hauptsache, die Zahlen stimmen.
Doch selbst die Dienstleistungsblüte droht zu verdorren wie eine Primel, die während der Urlaubsabwesenheit nicht gegossen wird. So ist im Servicebereich neben dem Neugeschäft auch die Beschäftigung dramatisch gefallen. Dass dieser Einbruch ausgerechnet auch im Juli, also einem Sommermonat stattfindet, ist bemerkenswert. Normalerweise müssten doch in der Urlaubszeit Saisonjobs im Tourismus sprießen wie Unkraut.
Die geringe US-Arbeitslosenquote unterstellt eine power economy
Mehr quantitativer Schein als qualitatives Sein zeigt auch die offizielle Arbeitslosenquote. Mit 4,3 Prozent ist sie auf den niedrigsten Stand seit 2001 gefallen. Demnach müsste die US-Wirtschaft eigentlich brummen, brummen, brummen und die konjunkturelle Inflation sowie Zinsen steigen, steigen, steigen. Wie aber passt eine quasi vollbeschäftigte Wirtschaft zu immerhin noch 42 Millionen Amerikanern, also 13 Prozent der Bevölkerung, die Empfänger von Lebensmittelmarken sind. Kann es sein, dass viele Arbeitslose bereits resigniert haben und sich wegen Perspektivlosigkeit gar nicht mehr registrieren lassen?
Überhaupt fehlt es im Vergleich zu früher an Kaufkraft. Die US-Stundenlöhne haben zuletzt sogar wieder nachgelassen, so dass kein lohnseitiger Inflationsauftrieb zu beobachten ist.
Verbesserte Einkommensverhältnisse sind auch zukünftig kaum zu erwarten. Wenn z.B. Bauroboter im New Yorker Immobiliensektor zehnmal schneller Ziegel legen als Bauarbeiter, jedoch nur einen Bruchteil kosten, wird sich die Substitution Maschine gegen Mensch weiter beschleunigen.
US-Arbeitsmarktdaten haben viel mit Märchen, leider wenig mit Happy End zu tun.
Was der Spinat für Popeye sind Schulden für die US-Wirtschaft
Aber wo kommt dann das Wirtschaftswachstum her? Wo wenig Einkommen, da viel Kredit. Es lebe die Verschuldung zum Wohle des amerikanischen Vaterlands. Nicht nur die staatliche, sondern auch die private Kreditaufnahme hat neue Rekordmarken erreicht. Man labte und labt sich an günstigen (Bau-)Kreditzinsen. Ohne Kredite wäre Amerika im Rezessionstal der Krise von 2008/2009 hängen geblieben.
Mittlerweile beträgt das Volumen amerikanischer Autokredite ca. 1,2 Billionen US-Dollar. Das sind fast 50 Prozent mehr als vor der Immobilienkrise. Und wer die amerikanische Kredit-Mentalität der Marke „Nach mir die Sintflut“ kennt, wundert sich nicht, dass ebenso Studentendarlehen und Kreditkartenschulden ihre Vorkrisenniveaus längst übertreffen. Ein wachsender Anteil dieser wie Hefekuchen aufgehenden Kredite kann nicht mehr ordentlich bedient werden. Sicherlich sind sich verschlechternde Kreditqualitäten kein Backpulver für freundliche Konjunkturperspektiven.
Ohnehin deuten im Trend gesunkene Renditen für US-Staatspapiere nicht unbedingt auf blühende Konjunkturlandschaften hin. Und das liegt jetzt nicht mehr an einer US-Notenbank, die Renditen planwirtschaftlich drückt. Ihre Anleihekaufwut hat sie weitgehend eingestellt. Doch auch von wieder mehr Marktwirtschaft zeigen sich die Renditen nicht beeindruckt. Denn die Frühindikatoren für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe sind verhalten, nicht kraftstrotzend.
Und jetzt soll die Fed allen Ernstes eine klar restriktive Geldpolitik betreiben? Angesichts des auf Pump finanzierten Wirtschaftswunders mit der Gefahr inflationärer Kreditausfallraten würde dies zu konjunktureller Muskelerschlaffung führen.
Eins ist klar: Die US-Geldpolitik wird Popeye sein Kraftfutter, seinen Spinat weiter zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellen.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Börsepeople im Podcast S22/15: Peter Bösenberg
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