05.02.2018, 5631 Zeichen
Wir haben ein neues Schlagwort an den Börsen. Mal sehen, ob sich dieses mehr als zwei Wochen in den Analysen und Kommentaren hält: „Melt-up“-Boom. Man versteht darunter die Spitze der Bubble an Aktienmärkten, ein nahezu unkontrolliertes Ansteigen, das danach von einem jähen Absturz „gekrönt“ wird.
Die Analyse ist nicht neu, denn bei nahezu allen Kurskorrekturen, egal ob in Aktien, Bonds, Gold, Uran, Bitcoin oder Tulpenzwiebeln war vor einem schmerzhaften Rückgang ein deutlicher, ja geradezu euphorischer, Anstieg zu bemerken. Die berühmten letzten 50% oder so. Ein Hintergrund dieser statistischen Tatsachen ist in der Behavioural Finance begraben. Der Verhaltenswissenschaft an den Börsen. Die „Überkonfidenz“, das absolute Vertrauen in steigende Märkte, begleitet von fundamentaler Gewissheit über Jahre hinaus, machen solche Kursereignisse zu immer wiederkehrenden Ereignissen. Scheinbar lernt der Mensch nicht aus seinen Fehlern, oder gibt es dabei auch noch andere Gründe zu beachten?
Nun, wenn es nach der so oft strapazierten Statistik geht müssten, die US-Aktienmärkte schon mehrmals gecrasht haben. Seit 2009 steigen diese nahezu ungebremst an und schaffen damit ein Paradigma nach dem anderen. Sollte, dürfte es gar nicht geben, gibt es aber. Nun gut, wenn es in den USA nicht funktioniert, dann blasen wir eben zum Verkauf von Asien? China ist hier seit mehr als fünf Jahren ein permanentes Opfer irgendwelcher Crashpropheten. Jedes Zehntel an Wachstum abseits der Erwartungen ist bereits Anlass, die Helme aufzusetzen. Nun, aber passiert ist bis dato … nix. Und jetzt kommt zum gefühlt zehnten Mal Europa an die Reihe: die Märkte wären doch viel zu hoch bewertet, und wenn sie es nicht sind, dann werden sie es demnächst sein und deswegen raus, raus, nix wie raus. Wir lächeln inzwischen nur mehr müde über solche Anregungen. Es sind nämlich dieselben Analystenhäuser, die eine Woche später zum Einstieg oder zur Erhöhung bestehender Investments raten. Und der erste Markt, der immer wieder ins Plus dreht, ist, erraten, der US-amerikanische. Man passt ja auf sich auf, oder?
Nun, was ist jetzt an diesem „Melt-up“-Boom dran? Sind wir da schon mitten drin und müssen uns vor dem Absturz fürchten, oder kommt der „finale Boom“ noch? Nun, wenn wir in der Argumentation mitspielen und mitdenken, dann muss er erst kommen. Das Attribut „unkontrolliert höher steigende“ Aktienkurse kann man derzeit nur wirklich schwer argumentieren. Nicht weil die letzten Tage breiter Gewinne genommen wurden, sondern bei nahezu allen Aktien die steigen bzw. gestiegen sind, weisen diese Unternehmen auch steigende Gewinne aus, haben Geschäftsmodelle, die von Marktstellung und Know How geschützt sind und sind als Alternative zu anderen Assetklassen eindeutig mehr in der Lage sichtbaren Ertrag ins Portfolio abzuliefern. Auch wenn die Anleiherenditen sich zu bewegen beginnen, so ist da noch lange kein Grund zu erkennen, dass sich die Risiko-Ertragsschere zu Gunsten der Zinsträger verschiebt. Die kosten nach wie vor jede Menge Geld in Form von negativer Realrendite. Und die Erwartung einer an der Zinsschraube nach Oben drehenden Notenbank ist wohl auch nur den US-Amerikanern gegönnt deren FED wie kommuniziert kontrolliert und langsam erhöht. Nur hier ist, wie immer aber nur im Zusammenhang mit auf die kommenden Jahre hin aufgebauten mutigen Bewertungen einzelner Aktien, Vorsicht berechtigt.
Die Statistiker haben natürlich jede Menge Zahlenfutter auch auf Kursanomalien im historischen Rückblick hinzuweisen. Was sie aber dabei übersehen scheinen, ist eine in ihren Ausmaßen und Verzerrungen noch nie dagewesene Divergenz zwischen Aktien und Anleihen. Diese hat auch keine „natürliche“ Ursache, sondern ist von Marktverzerrungen durch die Teilnehmer mit der größten Kasse und den tolerantesten Bilanzierungsregeln im Raum bestimmt. Deren Schicksal wird daher auch nicht via freier Markt der Statistik geopfert, sondern bleibt fest in deren Händen.
Dieses Kräfteverhältnis bestimmt indirekt daher auch das Schicksal der „unbehüteten“ Asset Klassen wie bspw. Aktien. Die haben zumeist kein wie immer geartetes „Blasen-Profil“, denn die mussten und müssen sich jeden Tag mit Gewinn, Cash Flow und Dividende gegen den Rest messen. Wenn dann noch ein nahezu zehn Jahre lang schmerzhaft gepflegtes Regulativ endlich beginnt nachzulassen, dann werden zusätzlich auch Wirtschaftsprozesse wieder in Gang gesetzt, die man am ehesten mit „Nachholeffekt“ charakterisieren kann. Und, wenn wir also die ganze Zeit nichts anderes an den Märkten sehen, als einen „Nachholeffekt“, dann sollte man aufmerksam beobachten an welchen Eckpfeilern sich die Bewertung währenddessen orientiert. Und das ist bei Aktien alles irgendwie ganz normal! Man sieht auf die Gewinne, deren Entwicklung, Dividenden, freien Cashflow, oder Marktstellung. Keine Euphorie oder ungebremstes Investment auf Kredit.
Und jetzt ist der historische Blick wieder vonnöten, denn dann muss man auch die historischen Bewertungen in Vergleich zum heutigen Status setzen. Und, wer glaubt’s, der passt. Wir sind in Europa weder teuer, noch in den Erwartungen übertrieben euphorisch. Ob einige Sektoren in den USA diesem Anspruch gerecht werden, ist vielleicht zu bezweifeln, aber im Rest of The World stimmt die Rechnung. Also, sollte die Fantasie bezüglich eines „Melt-up-Booms“ insofern beantwortet werden, dass wir uns genau darauf konzentrieren werden im Falle eines gravierenden Anstiegs der Aktienmärkte, so um 30-50%, die Augen und Ohren ganz weit aufzumachen, ob‘s nicht nach Übertreibung riecht. Aber erst dann. Alles davor bleibt Ablenkung zur Kaufgelegenheit.
That’s all.
Börsepeople im Podcast S22/11: Martina Draper
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Wolfgang Matejka
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