03.06.2018, 5347 Zeichen
Wenn kommende Woche der Präsident der Russischen Föderation zum Arbeitsbesuch nach Wien kommt, gibt es etwas zu feiern: 50 Jahre einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen dem teilstaatlichen österreichischen Mineralölkonzern OMV und dem staatlichen russischen Energieriesen Gazprom .
Die Beziehungen sind seit 2015 noch enger geworden, um nicht zu sagen: familiär. Damals trat der amtierende OMV-Generaldirektor Rainer Seele seinen Dienst an, und er leitete einen Strategiewechsel ein, der eine klare Richtung erkennen ließ: Go East!
Unter Seele ging die OMV von der Diversifizierungsstrategie ab, die sein Vorgänger Gerhard Roiss gefahren war, mit Engagements in Nordafrika, im mittleren Osten und in der Nordsee. Seele erklärte, dass man „nur auf einer Hochzeit tanzen“ solle, und diese Hochzeit sei jene mit Gazprom. Eine Liebesheirat, daran ließ der OMV-Chef nie einen Zweifel.
Niemand wird bezweifeln, dass für die OMV, deren historische Entwicklung von Beginn an durch enge Russland-Beziehungen geprägt war, stabile unternehmerische Beziehung zu Gazprom von vitaler Bedeutung sind. Geht man aber davon aus, dass das Gelingen einer so innigen Beziehung, wie sie jetzt auf den Weg gebracht wurde, auch von einem ausgewogenen Verhältnis von Geben und Nehmen abhängt, stellen sich einige Fragen.
Zunächst auf allgemeiner Ebene: Wie können ein internationaler Riese und ein regionaler Zwerg – der die OMV im internationalen Ölgeschäft nun einmal ist, auch wenn es sich um das größte Industrieunternehmen des Landes handelt – eine Partnerschaft auf Augenhöhe eingehen?
Kritiker der strikten Ost-Orientierung der OMV verweisen auf praktische Auswirkungen dieses prinzipiellen Problems. Die OMV hat beispielsweise eine 38,5-Prozent-Beteiligung an einem Ölfeld in der Nordsee gegen eine 24,99-Prozent-Beteiligung an einer sibirischen Explorationsstätte getauscht. Der Größenordnungsunterschied wäre an sich noch kein Problem – 24,99 Prozent an einem großen Unternehmen können einen höheren Wert repräsentieren als 38,5 Prozent an einem kleinen –, für Skepsis sorgt eher die Frage, warum man mit 24,99 Prozent genau die 0,01 Prozent unter einer Sperrminorität bleibt, mit der wesentliche Mitbestimmungsrechte verbunden sind.
Abgesehen davon, dass aufgrund der russischen Gesetzeslage nur ein Drittel des geförderten Volumens in den profitablen Export gehen kann, während zwei Drittel zu günstigeren Inlands-Preisen verkauft werden müssen: Die OMV hat als 24,99-Prozent-Anteilseigner weder die Möglichkeit, strategische Entscheidungen in ihrem Sinn zu beeinflussen, noch kann sie über so wichtige Fragen mitentscheiden, ob es Gewinne gibt und wie diese aufgeteilt werden. Über die Vorteile, die diesen Nachteil aus unternehmerischer Sicht aufwiegen könnten, lässt sich schwer etwas sagen, die OMV hat entsprechende Anfragen der Addendum-Redaktion noch nicht beantwortet.
Ebenfalls für Skepsis sorgt die Rolle der OMV als Mitfinanzierer der Pipeline Nord Stream 2, die künftig russisches Gas direkt nach Deutschland transportieren soll. Die OMV bekommt nämlich für ihr Geld keine Anteile, was Kritiker umso mehr verwundert, als durch die neue Nordsee-Pipeline eine Schwächung des österreichischen Knotens Baumgarten bei der Weiterverteilung russischen Gases in Westeuropa zu erwarten sei. Zudem scheint ein gewisser Widerspruch zwischen den Bestrebungen der Europäischen Union nach mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen und der neuen Pipeline zu bestehen.
Ein Widerspruch, der sich auch darin zu zeigen scheint, dass die Bemühungen, durch Flüssiggas- (LNG-)Lieferungen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern für eine diversifiziertere Energieversorgung Europas zu sorgen, von der OMV nicht mit jenem Nachdruck verfolgt werden, den man erwarten zu könnte. Immerhin ist das österreichische Unternehmen an der Entwicklung eines Konverter-Terminals auf der kroatischen Insel Krk beteiligt, dessen Fertigstellung seit erstaunlich langer Zeit auf sich warten lässt.
Energieversorgung, das haben die Gas-Krisen der vergangenen Jahre gezeigt, ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische, um nicht zu sagen geostrategische Frage. Österreich ist dabei als Mitglied der Europäischen Union und als Teileigentümer der OMV mit möglichen Interessenkonflikten konfrontiert, was angesichts der Komplexität der Materie nicht weiter verwunderlich ist. Vor diesem Hintergrund muss man auch die Aufmerksamkeit sehen, mit der Engagements hochrangiger österreichischer Ex-Politiker – zuletzt Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling – für Gazprom von Skeptikern und Kritikern verfolgt werden.
Unser Rechercheteam ist all diesen ökonomischen und politischen Fragen über einen langen Zeitraum nachgegangen und hat die Ergebnisse in einem kompakten Projekt zusammengetragen und visualisiert. Es hat auch einen sehr umfangreichen Fragenkatalog sowohl an die OMV als auch an die ÖBIB als Aktionärsvertreterin der Republik übermittelt, auf dessen Beantwortung wir noch warten. Mit Eintreffen der Antworten werden wir unsere Rechercheergebnisse, die ab Montag auf Addendum.org publiziert werden, laufend ergänzen. Weder Politik noch Ökonomie sind ja jemals abgeschlossene Prozesse, es gilt das alte Wort des griechischen Philosophen Heraklit, das für Pipeline-Angelegenheiten wie geschaffen erscheint: Alles fließt.
Im Original erschienen unter: OMV - Go East?
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