29.08.2018, 5492 Zeichen
Grasser war der bürgerfreundlichste Finanzminister. Weil ich gerade über die hohen Gerichtsgebühren geschrieben habe: Mit Schaudern denke ich an die Zeit vor Grasser zurück, wo gerade die Steuerzahler, die eh schon unter Zahlungsschwierigkeiten litten, über Stempelgebühren für simple Zahlungserleichterungsansuchen und Nachsichtsansuchen noch einmal zur Kassa gebeten wurden. Viele Jahrzehnte lang. Kam ein Bittbrief ins Finanzamt, wo "Bitte haben Sie Geduld, ich krieg erst am Ersten wieder Geld!" oder "Bitte kann ich auf 2x zahlen?" drinnen stand, wurde ein Steuerakt für die "verkürzte" Eingabegebühr angelegt. 180 Schilling plus 90 Schilling Strafzuschlag für die nicht vorschriftsmäßige Entrichtung. Das war in den Neunzigern viel Geld. Auch wenn jemand brav eine 180-Schilling-Justizstempelmarke auf sein Stundungs- oder Ratenansuchen pickte, wurde er gestraft: Justizstempelmarke ist nicht Bundesstempelmarke, auch er bekam 270 Schilling vorgeschrieben. Sehr viele Österreicher sahen das nicht ein, dass sie für die Bitte um kurze Stundung auch noch (in ihren Augen) "Strafe" zahlen müssen, der Rückstand wurde vollstreckbar, es kam zu Lohn- und Gehaltspfändungen und zu Besuchen des Abgabeneinhebungsorgans in der Wohnung. Nicht wenige "Steuersubjekte" verloren ihren Arbeitsplatz, weil ihr Arbeitgeber mit Mitarbeitern nichts zu tun haben wollte, gegen die Exekution geführt wird.
Unglaublich, aber wahr: Viele Jahre lang wurden Finanzbeamte extra belohnt, die in Schriftstücken Worte fanden, die auf eine Bitte um Zahlungserleichterung oder Nachsicht hinwiesen. Das Schriftstück wurde dann, sofern nicht mit Stempelmarke in ausreichender Höhe versehen, "notioniert", der Name des Finanzbediensteten kam drauf, und die Belohnung wurde an ihn überwiesen. Kein Wunder, dass sich zu diesen Zeiten die Beamten auf die Eingangspost stürzten. Die Belohnung wurde allerdings vor Grasser schon abgeschafft, danach war das Griss um die Eingangspost nicht mehr gar so groß.
Diese vielen Bundes- und Kfz-Stempelmarkenakten sicherten natürlich viele Arbeitsplätze in der Finanzverwaltung. Aber trotz vieler Härtefälle kamen durch die vielen, vielen Bundesstempelmarken für Zahlungserleichterungs- und Nachsichtsansuchen für Steuerrückstände nicht wirklich Unsummen fürs Budget herein. Die Kfz-Stempelmarken heißen seit 1993 "motorbezogene Versicherungssteuer", diese wird von den Versicherungen mit der Haftpflichtprämie eingehoben, statt über Justizstempelmarken hebt die Justiz die Gebühren jetzt meist durch Bankeinzug ein, und die vielen Bundesabgaben samt Landesabgaben für Anträge bei Baubehörden und Standesämtern zahlt man jetzt direkt bei den Amtskassen.
Aber diese bürgerfreundliche Leistung von Finanzminister Karl-Heinz Grasser war wirklich epochal und sichert ihm einen Platz in der Geschichte, und auch in meiner Erinnerung bleibt diese Leistung unvergessen: Die Gebühren für Zahlungserleichterungs- und Nachsichtsansuchen zumindest bei Finanzamtsschulden wurden abgeschafft! Seither braucht kein "Steuersubjekt" in diesem Staate Österreich mehr abzuwägen, wie er das zu Papier bringt, dass er momentan nicht zahlen kann. Jetzt kann er gut schlafen, auch wenn er "Bitte kann ich auf 2x zahlen?" schreibt. Keine Notionierung. Kein Strafbescheid (heißt im Amtsdeutsch natürlich nicht so). Keine Lohnpfändung.
Ehre, wem Ehre gebührt. Die Medien und sogar das Internetlexikon schreiben eh soviel Schlimmes über ihn. Darüber sollte man nicht vergessen, was er Positives für uns geleistet hat. Was die Buwog-Privatisierung betrifft: Kaum jemand wird wohl annehmen, dass der damals von der Immofinanz gebotene und bezahlte Betrag Zufall war. Wir wissen nicht, von wem die Info kam, was die Konkurrenz bietet. Dass die Buwog weit unter Wert verkauft wurde, weiß mittlerweile wohl jeder. Aber das war nicht nur zu Zeiten so, als Grasser Finanzminister war, das ist in Österreich unter jeder Regierung so. Oder möchte jemand behaupten, z.B. die Heeresgründe in Stammersdorf und Neusiedl/See seien wirklich nicht mehr als 10 Euro pro m2 wert? Und nichts wird überprüft, der Österreicher gewöhnt sich daran. Wenn Bundesimmobilien zu billig verscheppert werden, tut das keinem weh. Das grundsätzliche Problem bei der Buwog-Privatisierung war die Art des Bieterverfahrens. Dass das höchste im verschlossenen Kuvert enthaltene Kaufangebot den Zuschlag bekommen muss, dient nicht der Erlösmaximierung, wie man sieht. Man hätte Nachbesserungen zulassen sollen, mit offenen Karten, wo die Angebote sind. Gerne hätte wohl die CA-Immo dann nochmal 50% draufgelegt. Und die Immofinanz hätte vielleicht das Doppelte gezahlt. Und vielleicht wäre noch ein deutscher oder amerikanischer Immokonzern auf den Plan getreten. Aber es ist bei so großen Verfahren in Österreich eben genau so wie bei den kleinen Ausschreibungen von Büromaterial: Da müssen diejenigen, die der Republik Angebote unterbreiten wollen, ein paar Hunderter für die Ausschreibungsunterlagen zahlen, es kann aber nur einer gewinnen, also tun sich die knapp kalkulierenden Anbieter das gar nicht an, so kommt es dann dazu, dass die Amtsstuben die schlechtesten Kugelschreiber bekommen, die es am Markt gibt, dafür aber zu geschmalzenen Preisen.
Wer sich mit Wehmut an die geliebten Stempelmarken zurück erinnert: Im Internet gibt es sie noch zu kaufen, ganz billig, um 1 Euro oder so, gestempelt. Vielleicht sollte man die Bitcoingewinne auf alte Werte umschichten, viel billiger werden die Marken wohl nicht mehr werden. Wer warten kann ...
kapitalmarkt-stimme.at daily voice: Martina Geisler (EY) sieht für Österreich eine solide IPO-Pipeline bei Small & Mid Caps sowie Spin-Offs
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