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Nicht rechtskräftig verurteilt, dieser "Aufsichtsrat" (Günter Luntsch)

24.05.2018, 2342 Zeichen

"Nicht rechtskräftig verurteilt". Seit einigen Jahren liest man in fast allen Bewerbungen für den Aufsichtsrat die in meinen Augen recht unglückliche Formulierung "Ich bestätige hiermit außerdem, dass ich nicht rechtskräftig wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden bin, die meine berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt."

Wer so etwas liest, für den klingt das wie "Es gilt die Unschuldsvermutung." Was der gemeine Leser meist so deutet: "Der Falott hat offenbar zu gute Anwälte, man hat ihn noch nicht 100%ig überführen können."

Wahrscheinlich ist das eh eine juristisch einwandfreie Redewendung, ein Intellektueller hat wohl so ein Schreiben verfasst, und alle anderen schreiben es brav ab. Aber es sagt praktisch gar nichts aus. Man kann rechtskräftig wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden sein, jedoch trotzdem der Meinung sein, beruflich zuverlässig zu sein. Und man kann gänzlich unschuldig sein, und trotzdem glauben viele, es würde ein Verfahren laufen, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sein. Oder es hat eine Diversion gegeben. Oder eine Straftat ist verjährt. Also, alles Falotten, wie gesagt? Ich würde empfehlen, bei künftigen Bewerbungen diesen unsinnigen und mehrdeutigen Satz wegzulassen. Man könnte ja z.B. mit Stolz zugeben: "Ich habe einwandfreien Leumund." oder "Ich bin unbescholten."

Und wenn man mal ein Verfahren hatte, kann man doch schreiben, was war, und somit allen Spekulationen den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn es nicht Mord oder Vergewaltigung war, wird der Aktionär, der zur Wahl aufgerufen ist, wohl Langmut zeigen und sich in erster Linie fragen: Wie wird diese Person ihre Aufgabe im Aufsichtsrat meiner Gesellschaft wahrnehmen? Wer in entscheidender Position am Wirtschaftsleben teilnimmt, steht sowieso immer mit einem Fuß im Kriminal. Verspätete Bilanzabgabe, nachträglich als unrichtig qualifizierte Bilanzansätze, zu spät veröffentlichte Adhoc, Teilnahme an einem Kartell, Schmiergeld, Steuervergehen, Vergehen von Mitarbeitern, Datenschutzvergehen, ich weiß nicht, für was alles man gerichtlich bestraft werden kann, vieles davon würden wir Aktionäre nicht als Schwerverbrechen qualifizieren. Wenn man uns erklärt, warum das geschehen ist, und wenn die Person bereut und verspricht, dass es nicht wieder vorkommt, gebe ich ihr gerne eine weitere Chance.


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