12.06.2020, 3940 Zeichen
Wenn wir zu Wochenbeginn noch über ein Päuschen räsonierten, das die Börsen möglicherweise einzulegen gedenken, so ist seit gestern klar: So wie bisher wird die "post-coronale" Entspannungshausse wohl nicht weitergehen können. "Post-coronal" in Anführungszeichen, denn genau das ist die Befürchtung, die die Börsen zittern lässt - ist die Virus-Pandemie wirklich ausgestanden? Sprunghafte Steigerungsraten in einigen US-Bundesstaaten, besorgniserregende Entwicklungen in Schweden und Großbritannien, dazu die diversen Lockerungsmaßnahmen, verbunden mit Grenzöffnungen. Wenn man sich den wirtschaftlichen Kahlschlag, den der Covid19-Virus in den allermeisten Volkswirtschaften schon angerichtet hat, vor Augen führt (z.B.UK - 20 % während des Lock-Downs...), wird schnell deutlich, dass eine "Zweite Welle" dramatische Auswirkungen hätte. Und diese Gemengelage führte gestern zu schmerzhaften Rückschlägen an den Börsen. Gut 4,5 % im Schnitt in Europa, abends noch getoppt von den US-Kollegen (Dow fast - 7 %, S&P knapp 6 %...) - das ist eine deutliche Ansage. Asien zeigt sich heute verhältnismäßig widerstandsfähig, die Abschläge halten sich in Grenzen, in China könnte sich sogar eine schwarze Null ausgehen. An den Devisenmärkten läuft alles schulmäßig auf eine wieder verstärkte Risk-Off-Stimmung hinaus, Yen und Franken legen zu, auch der Dollar holt wieder etwas gegenüber dem Euro auf - kein Wunder- hat doch der Wiederaufbaufonds-Bazar voll eingesetzt. Die meisten Visegrád-Staaten sind damit einverstanden, hätten aber gerne eine neue (für sie günstigere Aufteilung) der Mittel, Dänemark signalisierte Zustimmung, wenn der eigene, eigentlich ausgelaufene Rabatt für EU-Beitragszahlungen, prolongiert wird - wer will noch mal, wer hat noch nicht? Die Verhandlungsbereitschaft scheint hier nur die herausgeputzte Schwester des Kuhhandels zu sein - Euro, quo vadis?
Nach dem Absturz der US-Börsen vom Vortag geben zum Wochenausklang auch die asiatischen Börsen etwas nach. Die Verluste sind aber nicht so drastisch wie an der Wall Street und werden vereinzelt schon wieder zum Kauf genutzt. Unterstützung kommt von den US-Futures, die ins Plus gedreht haben, und vom festeren Dollar. Der Greenback gilt als sicherer Hafen in Krisenzeiten und legt am Freitag zu vielen lokalen Währungen zu, was positiv für exportorientierte asiatische Unternehmen und deren Aktien ist.
Auslöser für den Abverkauf an der Wall Street waren die düsteren Wirtschaftsprognosen der US-Notenbank vom Mittwoch und die Furcht vor einer zweiten Corona-Welle. Der US-Leitindex Dow Jones Industrial brach am Donnerstag um knapp 7 % ein und fand sich damit auf dem Niveau von Ende Mai wieder. Dies war der größte prozentuale Tagesverlust auf Schlusskursbasis seit März. Zwischenzeitlich wäre der Dow fast unter die Marke von 25'000 Punkten gesackt. Zum Handelsschluss notierten sämtlich Titel im Minus. Für den marktbreiten S&P 500 ging es am Ende um knapp 6 % nach unten. Ganz überraschend kommen die Gewinnmitnahmen allerdings nicht. Zahlreiche Börsianer hatten bereits von einer Überhitzung des Marktes wegen der Billiggeldflut der Notenbanken gesprochen, die nichts mehr mit den realen Wirtschaftsperspektiven zu tun habe. Eine V-förmige Erholung, auf die viele Marktteilnehmer zuletzt gesetzt hatten, scheint in weite Ferne gerückt. Die Federal Reserve hatte von einem starken Konjunktureinbruch gesprochen mit einer anschließend aber nur trägen Erholung. Nach Aussagen von US-Finanzminister Steven Mnuchin ist es denkbar, dass im Falle einer zweiten Welle an Coronavirus-Infektionen die Wirtschaft nicht erneut heruntergefahren wird. "Wir haben gelernt, dass wenn man die Wirtschaft stilllegt, man mehr Schaden anrichtet - und nicht nur wirtschaftlichen Schaden". Inzwischen gebe es auch mehr Kapazitäten in Krankenhäusern und bei Tests. "Das ist etwas, das das große Problem und der Grund dafür war, warum der Präsident Teile der Wirtschaft schließen musste."
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